Media Office
im deutschsprachigen Raum
H. 2 Sha'aban 1441 | No: 73 |
M. Donnerstag, 26 März 2020 |
Presseverlautbarung
Stellungnahme zur Corona-Krise
Die Ausbreitung des Corona-Virus (COVID-19) und die damit einhergehenden Folgen offenbaren massive Systemschwächen des Kapitalismus und der liberalen Gesellschaftsordnung. Bereits die Ausbreitung des Virus in der chinesischen Provinz Hubei löste heftige Reaktionen an den internationalen Finanzmärkten aus. In Deutschland verlor der DAX innerhalb weniger Wochen 40% und stürzte bis zum 17. März auf 8.442 Punkte. Mit steigender Infektionszahl kam das wirtschaftliche und öffentliche Leben der Bundesrepublik nahezu vollständig zum Erliegen, sodass Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März konstatierte: Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt.
Nach anfänglichem Zögern beschloss die Bundesregierung alle Bildungseinrichtungen und Geschäfte zu schließen, die nicht zur Gewährleistung der Grundversorgung unverzichtbar sind. Bundesweite Ausgangsbeschränkungen, Veranstaltungs- und Kontaktverbote wurden unter Androhung von Sanktionen erlassen. Während Weltkonzerne wie Daimler, VW und BMW beschlossen, ihre Produktion einzustellen, fürchten unzählige kleine und mittelständische Unternehmen um ihre Existenz. In der Folge rechnet das Bundesarbeitsministerium aktuell mit bis zu 1,2 Millionen zusätzlichen Beziehern der Grundsicherung. Um einer massiven Rezession entgegenzuwirken, kündigte Bundesfinanzminister Olaf Scholz am 21. März milliardenschwere Hilfspakete an. Vorgesehen seien eine Neuverschuldung von rund 156 Milliarden Euro sowie ein Rettungsschirm von bis zu 600 Milliarden Euro. Am 23. März schließlich konstatierte die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht: Das Abgleiten in eine ausgeprägte Rezession ist nicht zu verhindern. […] Vor diesem Hintergrund ist die konjunkturelle Entwicklung von beispielloser Unsicherheit gekennzeichnet.
Auch das deutsche Gesundheitssystem droht im Zuge der Pandemie innerhalb weniger Wochen an seine Belastungsgrenzen zu stoßen. So rechnet der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, mit einer vollen Auslastung der 28.000 Intensivbetten und kritisiert, dass die für die Krankenhäuser zuständigen Bundesländer nicht genug in den stationären Sektor investiert hätten. Nach Angaben des Deutschen Krankenhausinstituts fehlen etwa 17.000 Pflegekräfte in den Kliniken und drei von vier Krankenhäusern suchen Mediziner. Besonders dramatisch scheint die Lage in Nordrhein-Westfalen, dem am stärksten betroffenen Bundesland. So moniert die Krankenhausgesellschaft NRW, dass die meisten Kliniken nur noch Schutzmaterial für ungefähr 14 Tage hätten. Verantwortlichkeiten würden hin- und hergeschoben, vom Bund zum Land und vom Land zu den Krankenhäusern. Das Gesundheitssystem sei auf Wirtschaftlichkeit getrimmt und fast 40% der Krankenhäuser schrieben rote Zahlen. Die prekäre Lage im Gesundheitssystem offenbart zudem die Zerbrechlichkeit transnationaler Lieferketten, eine Tatsache, die der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister, Karl-Josef Laumann, bereits am 8. März öffentlich eingestehen musste.
Und selbst das Rückgrat der Europäischen Union – der Schengenraum – scheint durch die Corona-Krise gefährdet. Neben Deutschland haben rund 12 weitere EU-Länder Grenzkontrollen im gemeinsamen Binnenmarkt eingeführt und den freien Personen- und Warenverkehr auf diese Weise faktisch ausgesetzt. In der Folge kam es an den europäischen Binnengrenzen zu kilometerlangen Staus – an der deutsch-polnischen Grenze zwischenzeitlich sogar bis zu 60 Kilometern.
Die Corona-Krise führt der Welt erneut die Fragilität der kapitalistischen Wirtschaftsordnung vor Augen. Marktkräfte, die eine vermeintlich optimale Ressourcenallokation bewirken, scheitern nach der Weltfinanzkrise 2008 und der Eurokrise 2010 zum dritten Mal innerhalb von zwei Dekaden. Staatliche Eingriffe, die es idealtypischen Annahmen zufolge überhaupt nicht geben dürfte, müssen die freie Marktwirtschaft erneut vor dem Kollaps bewahren! Dabei wird deutlich, wie sehr die Logik ökonomischer Effizienz das Immunsystem der Gesellschaft schwächt. Wenn Unternehmen, Bildungsreinrichtungen und selbst Krankenhäuser entlang des profitorientierten Minimal- bzw. Maximalprinzips operieren, genügen kleinste Erschütterungen, um die Funktionsfähigkeit ganzer Infrastrukturen lahm zu legen. Durch das Wachstumsparadigma und die Erwartungslogik der Finanzmärkte schlagen negative Konjunkturaussichten auf die Realwirtschaft um und entfalten in Form von Insolvenzen und Entlassungen ihre zerstörerische Wirkung. Aufgrund der Globalisierung, die durch den Anstieg von Handels-, Finanz- und Investitionsströmen zu einer engen Vernetzung der Märkte geführt hat, ist zudem die Weltwirtschaft als Ganzes anfälliger für systemische Risiken. Auf diese Weise konnte eine lokale Epidemie zu einer internationalen Wirtschaftskrise mutieren, deren Ende nach wie vor nicht abzusehen ist!
Doch auch die liberale Gesellschaftsordnung wird durch das Virus in ihren Grundfesten erschüttert. So führen die beschlossenen Schutzmaßnahmen zu tiefgreifenden Eingriffen in verfassungsmäßig garantierte Freiheitsrechte. Flächendeckend ganze Viertel oder ganze Städte einzuschließen, finde ich sehr problematisch, so Professor Gosepath von der Freien Universität Berlin. Zwar finde die Freiheit des Einzelnen ihre Grenzen in der Freiheit Anderer, aber jetzt nur aus Schutzmaßnahmen oder aus ordnungspolitischen Maßnahmen einzuschränken, das wird schwierig. Noch schwerer für die liberale Gesellschaft wiegt die Tatsache, dass in der Krise Menschenleben gegeneinander aufgewogen werden müssen. Behandelnde Ärzte sind dazu angehalten, Patienten mit besserer Prognose zu bevorzugen und andere ihrem Schicksal zu überlassen. Das Menschen- und Gesellschaftsbild der Aufklärung, in der das Individuum nicht der Gemeinschaft untergeordnet wird, scheitert an einer Situation, die kollektive Anstrengung und damit einhergehend individuelle Opferbereitschaft erfordert. Die weltanschauliche Konstruktion einer Gesellschaft, in der sich die Legitimität des Staates in dem Schutz des Einzelnen begründet, entpuppt sich als gefährliche Utopie, die weder in Normal- noch in Krisenzeiten die Realität abbildet.
Hizb-ut-Tahrir ruft das deutsche Volk dazu auf, dieses Schwellenereignis für eine weltanschauliche Bestandsaufnahme zu nutzen. Ein volatiles System, das auf Wirtschaftlichkeit und unendliches Wachstum ausgelegt ist, wird die Gesellschaft immer wieder an den Rand des Abgrunds treiben und nicht in der Lage sein, die Probleme des Menschen nachhaltig zu lösen. Nur ein System, das die Realität abbildet und der menschlichen Natur umfänglich Rechnung trägt, bietet den Ausweg aus einem Zyklus von Ekstase und Ernüchterung. Es ist der Islam, der ganze Völker miteinander vereinte und ihnen durch das Kalifat 1300 Jahre lang ökonomische und ordnungspolitische Stabilität gewährte.
Der Erhabene sagt im Koran:
﴿وَمَا أَرْسَلْنَاكَ إِلَّا رَحْمَةً لِلْعَالَمِينَ﴾
Und Wir haben dich nur als Barmherzigkeit an die Weltenbewohner entsandt. (21:107)
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